Irene Marty, 45, Autoren-Regisseurin aus Wangen bei Zürich

Hintergründe, Idee und Entstehung des Filmes "Im Schatten der Pagoden"

Die erste Reise nach Burma

Eine Weltreise führt Irene Marty im Jahr 1981 nach Burma: Für sieben Tage erhält sie ein Touristen-Visum. Noch sind kaum Feriengäste in Burma, es fühlt sich abenteuerlich an, nach Burma zu reisen ist attraktiv, weil anders. Burma ist für Irene Marty mehr anders als alles andere. Die Armut ist grenzenlos. Die Leute sind liebevoll, herzlich. Es gibt keine Hotels, nur vereinzelte Guest Houses, Dormitories. Irene Marty reist auf ihre Art. Sie kleidet sich in die Gewänder der burmesischen Frauen, redet mit Händen und Füssen. Sie will Kontakt zu den Menschen, Menschen kennen lernen. So offen findet sie Zugang zu den Leuten. Eine Weisse, die sich auf die Lebensart und Kultur eines touristisch kaum erschlossenen Landes einlässt, wird warm empfangen und erlebt Nähe. Sie darf nicht bezahlen, was sie kauft. Sieben beeindruckende Tage Burma lassen Irene Marty nicht mehr los.

Die Rückkehr nach Burma

1999 reist Irene Marty erneut nach Burma. Alles ist anders. Staubige Strassenzüge haben sich zu modernen Stadtzentren entwickelt. Auch im Norden des Landes, in Pagan, ist alles anders. Wo vor 20 Jahren ein einziges Guest House stand, säumen heute mehrere staatlich geführte Luxushotels die Hauptstrasse. Irene Marty kommt ins Gespräch mit einem alten Mann und erzählt von ihrem Aufenthalt hier vor 20 Jahren. Der Mann entpuppt sich als Sohn des ehemaligen Patrons des Gästehauses, wo sie damals übernachtet hatte. Er ist es, der Irene Marty in ein Hinterzimmer führt, erzählt, dass das auf den unbewaffneten Volksaufstand geschehene Massaker von 1988 nur den Anfang der grauenvollen Entwicklung in Burma darstellt. Und setzt damit den Anstoss für ein Film-Projekt, welches die Verbrechen der regierenden Junta gegen die Menschlichkeit thematisiert.

Die andere Filmidee

"Im Schatten der Pagoden" handelt von denen, über die sonst niemand redet. Der Film führt zu den rund 15 Millionen von der Militärjunta vertriebenen und verfolgten Menschen ethnischer Minderheiten, die - wenn sie die burmesische Staatssprache nicht sprechen - erschossen werden dürfen. Menschen, die ihr Leben lang auf der Flucht sind, denen die Lebensgrundlage entzogen, jede Ausbildung vorenthalten und der Wille gebrochen wurde. Der Film lässt Studenten zu Wort kommen, die als Teil einer niedergeschlagenen, geistigen Elite als Widerstandskämpfer im Dschungel leben, ihr Leben lang auf der Flucht sind, denen jede Bildung entzogen und damit der Wille gebrochen wurde. Er erzählt von einem Land, dessen 1988 im Volksaufstand als Studenten niedergeschlagene geistige Elite als Widerstandskämpfer im Dschungel lebt. Der Film zeigt auf, wie hoffnungslos der Alltag der Zivilbevölkerung Burmas daherkommt.

Der Weg zum Film

Die totale Kontrolle über die burmesische Bevölkerung durch den Militärapparat verunmöglicht den Zugang zu den Menschen. Jedes Insistieren zum Reden kann in Burma ein Todesurteil bedeuten. Entsprechend sucht Irene Marty andere Wege, um Menschen zu finden, die gewillt sind, vor laufender Kamera zu reden. Sie verlässt die Touristenroute und Burma und geht den Weg über Thailand. Irene Marty erhält keine Bewilligung für die Dreharbeiten. Die gefährlichen und risikoreichen Reisen führen in verschiedene Flüchtlingslager, ins Grenzgebiet und über die grüne Grenze zurück nach Burma. Irene Marty wird begleitet von Freiheitskämpfern. Weit weg von Polizei, Militär und Spitzeln beginnen die Menschen zu reden.

Die Hoffung der Menschen in Burma

Je tiefer Irene Marty in die Recherche geht, desto schwerer und zwingender wird das Projekt. Sie begibt sich als allein erziehende Mutter in grosse Gefahr mit ihren Reisen nach Burma; ein Zurück gibt es nicht mehr. Irene Marty erlebt während der Entstehung des Filmes tiefe Krisen. Der treibende Motor ist die Hoffnung all dieser Menschen, die sich ihr im Laufe der vier Jahre Filmarbeit öffnen: Die Hoffnung, die Welt möge diesen Film sehen, erkennen, was in Burma passiert - und reagieren.

Die Hoffnung von Irene Marty

Mit "Im Schatten der Pagoden" will Irene Marty das unvorstellbar dramatische Elend in Burma zu einem Thema machen und ins Bewusstsein der Menschen rücken. Die Schweiz soll ein Beispiel statuieren. Statt Holocaust-Vergangenheit bewältigen kann sie zeigen, dass sie etwas gelernt hat aus der Geschichte. Es geht uns alle an. Irene Marty hofft, dass, wer diesen Film gesehen hat, nicht mehr nach Burma reist. Denn das "goldene, grösste Land im fernen Osten, vom modernen Leben noch fast unberührt..." (Zitat Reise-Katalog), das wundervolle Land der Buddhisten-Klöster und Pagoden ist in Wahrheit das grauenvolle Land des längsten Bürgerkrieges der Welt, des Terrors durch die Militär-Junta, der Plünderungen, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Zwangsrekrutierungen, Folter, Zwangsarbeit, Drogen, der totalen Ueberwachung und Kontrolle, des Leidens, der Angst, des Schweigens und des Todes.

August 2003